Hintergrund

Gedanken zum Projekt von Gabrielle Brunner

Der Verein «Musik rund um Bern» wurde im Frühling 2021 gegründet mit dem Ziel, Produktionen und Veranstaltung von kulturellen Anlässen mit Wort und Musik, hauptsächlich in den umliegenden Gemeinden der Stadt Bern zu realisieren. Neben gesprochenen Worten werden selten gespielte und/oder verkannte Werke sowie Uraufführungen aufgeführt, oft im Kontext mit etablierten Werken. Die Textauswahl, die sich vorzugsweise auf poetische Texte konzentriert, stellt dabei immer einen aktuellen Bezug zu unserer Zeit her, Texte, die es vermögen, den kaum fassbaren Geschehnissen eine Form, einen Klang zu geben. Insbesondere ist es uns ein Anliegen, das Gedankengut indigener Völker zu Wort kommen zu lassen. 

Stellvertretend für viele andere, tief berührende Texte möchte ich folgenden Text von der Navaho Lyla June zitieren, der mir so ergreifend scheint, dass er in fast jedem Programm wieder zu Gehör gebracht worden ist und auch wieder werden wird. 

One earth – Lyla June

Es ist Morgengrauen. Die Sonne zieht am Himmel auf und meine Großmutter und ich singen Gebete zum Horizont.

An diesem Morgen lehrt sie mich die Bedeutung von «Hoyong» – obwohl es keine direkte

Übersetzung aus der «nepesaad de navaho»-Sprache gibt, weiss jedes Lebewesen was «Hoyong» bedeutet – denn «Hoyong» ist jeder Regentropfen, es ist jedes Blatt an jedem Baum, es ist jede Wimper, es ist jede Feder auf dem Flügel eines Vogels, 

«Hoyong» ist die unbestreitbare Schönheit, die uns umgibt.

Und meine Großmutter weiß das – denn sie spricht eine Sprache, die aus den Wüstenböden

gewachsen ist – wie rote Steinarme, die sich in den Himmel strecken und die Schöpfung für all ihren Glanz preisen.

“Hoyong” heißt: sich daran zu erinnern, dass man Teil des Glanzes der Erde ist

Meine Großmutter weiß das – denn sie spricht dieselbe Sprache wie Hufe, die an Geburtstagen auf den Boden schlagen, denn sie war Hebamme und galoppierte zu den Frauen in den Wehen – bis sie fließend die Sprache der leidenden Mütter beherrschte, fließend die Sprache der freudigen Mütter, fließend die Sprache der Übergabe glühender Neugeborener an ihre Schöpfer.

“Hoyong” ist so, sagt sie: Es ist ein Erlebnis – aber es ist nicht etwas, das man allein erleben kann, sagen die Adler, während sie in der Stratosphäre gemeinsam ihre Kreise ziehen.

“Hoyong” ist so, sagt sie: Es ist Zwischen-Schönheit – und meine Großmutter weiß das – denn sie spricht dieselbe Sprache wie der männliche Regen, der die Blitzknaben durch den Himmel schießt – und die Grünkorn-Kinder umwirft und die Pferde am frühen Nachmittag an die Felswände drückt. Sie spricht auch die Sprache des weiblichen Regens – der Salbei in unsere Häuser und Regenbögen an den Himmel zaubert – wir, die “neyh”, wissen, was “Hoyong” bedeutet. Und jedes einzelne Lebewesen weiß, was “Hoyong” bedeutet.

Und ich glaube, dass wir tief im Inneren wissen, was “Hoyong” nicht bedeutet. 

Wie die Tage, an denen wir in Traurigkeit wandeln, wie die Tage, an denen wir in Angst leben, wie die Tage, an denen wir für Geld leben oder wie die Tage, an denen wir für Ruhm leben – oder wie der Tag, an dem die Conquistadores kamen und von ihren Pferden herunterstiegen und uns sagten, dass sie die Berge einnehmen würden.

Wir wussten, dass dies nicht “Hoyong” war, weil wir wussten, dass man einen Berg nicht besitzen kann. 

Aber wir wussten, dass wir ihn wieder zu “Hoyong” machen konnten – wir nahmen die Silberhelme direkt von ihren Köpfen und verwandelten sie in eine furchtlose Schönheit – wir machten Schmuck aus ihnen.

Meine Großmutter sagt: “Hoyong” ist die Heilung unserer gebrochenen Herzen – es ist das Gebet, das uns durch Völkermord und Krankheit getragen hat, es ist das Gebet, das die Menschheit durch alles tragen wird.

Durch diese globale Erwärmung, durch diese globale Angst, die als Illusion dünn wie ein Schatten in unseren Köpfen tanzt.

Heute Morgen lehrt mich meine Großmutter etwas sehr Wichtiges – sie lehrt mich, dass manchmal der einfachste und eleganteste Weg, eine Armee des Hasses zu besiegen, darin besteht, einfach vor ihr zu stehen und ihr etwas vorzusingen. 

Singe ihnen schöne Lieder vor, bis sie auf die Knie fallen und sich ihm hingibt. Sie werden dies tun, sagt sie, weil sie endlich ein süßeres Feuer als Rache gefunden haben, ein süßeres Feuer sogar als Gier, sie werden den Himmel gefunden haben, sie werden “Hoyong” gefunden haben.

Und so spricht meine Großmutter jetzt zu den Farben des Himmels in der Morgendämmerung und sie sagt: 

                                                “Hoyong na haas leehng”

was bedeutet:  Schönheit und Freude sind wiederhergestellt!

Es gibt den Satz, dass die Musik dort anfängt, wo die Sprache aufhört. Ich habe mit Erstaunen erlebt, dass sehr oft die klassische Musik in ihrer Tiefe und in ihrer Komplexität eine Resonanz zu diesen Texten bildet, unabhängig aus welcher Epoche diese Musik stammt.

Von jeher ist es mir ein Bedürfnis, zeitgenössische klassische Musik zu entdecken, zu Gehör zu bringen, in Auftrag zu geben. Seit ca 15 Jahren bin ich zudem selbst Komponistin und so drängt es mich ich für das Gedenk Konzert an meinen Vater Eduard Brunner im März 24 selbst etwas zu schreiben.